"Wenn Sie 112 rufen, werden wir kommen". Wie funktioniert eigentlich Katastrophenschutz?
Aufgrund der Ereignisse in der Eifel stellt die PNP in einer kleinen Serie Einrichtungen vor, die Tag für Tag für die Sicherheit der Bürger da sind.
Die 112 ist jedem Bürger ein Begriff. Ruft man dort an, dann kommt Hilfe. Doch das ist gar nicht selbstverständlich. Damit Hilfe kommt, braucht es einen gewaltigen Apparat. Seit zehn Jahren gibt es in Passau die integrierte Leitstelle, die Einsätze der Rettungskräfte koordiniert. Dort kommt der Notruf als erstes an. Sebastian Fehrenbach führt die Leitstelle und ist damit verantwortlich für die Sicherheit von 500.000 Bürgern. Seine Dienststelle betreut Feuerwehren, Rettungsdienste, Bergwacht und Wasserwacht. Auch ein Rettungshubschrauber untersteht ihr.
Auf 72 ISDN-Leitungen nehmen seine Mitarbeiter Notrufe entgegen. Sie betreuen 383 Feuerwehren, diverse Rettungsdienste, einen Rettungshubschrauber, Berg- und Wasserwacht. 33 Disponenten und 28 Mitarbeiter für ein erhöhtes Notrufaufkommen nehmen Anrufe an und verteilen die Einsätze. Gearbeitet wird auf 120 Clients und Servern. Das gleicht einer Datenfarm.
Und dennoch: Das alles braucht es auch. Etwa 220.000 Notrufe pro Jahr gehen bei der Leitstelle ein. 2019 hatten Fehrenbachs Mitarbeiter über 5000 Feuerwehreinsätze zu koordinieren, beim Rettungsdienst waren es 60.000. Der ganz normale Wahnsinn also, und das Tag für Tag.
Umso routinierter sind die Frauen und Männer der Leitstelle dadurch im Katastrophenfall. Die ILS ist die erste Stelle, bei der eine Katastrophe gemeldet wird. Doch dass eine solche auftritt, ist nicht immer ganz klar, wie Fehrenbach sagt. "Das Gesamtbild der Katastrophe zeigt sich oft nicht ab der ersten Minute", sagt der Dienststellenleiter. "Wenn ein Lkw umgefallen ist, braucht man auf den ersten Blick nur ein Bergungskommando. Auf den zweiten Blick sieht man aber Flüssigkeit auslaufen. Und auf den dritten Blick ist der Lkw ein Gefahrguttransporter, aus dem ätzende Säure ausläuft. Dann haben Sie eine Katastrophe, die Sie nicht sofort erkennen können." So geschehen letztes Jahr zwischen Fürstenzell und Griesbach.
Einen Katastrophenfall zu erkennen ist also nicht immer einfach. Fehrenbach definiert ihn als "eine Gefährdung für eine Vielzahl von Personen". Arten von Katastrophen gibt es aber viele. Unwetter- und Naturkatastrophen. Die Flüchtlingskrise 2015 war dagegen eine humanitäre Katastrophe. Ob eine Katastrophe vorliegt, muss das Landratsamt im Einzelfall erst einmal feststellen. "Wir veranlassen dann alle folgenden Maßnahmen", sagt Fehrenbach. "Unsere Aufgabe ist die Bewertung der Gesamtlage, wir betreuen nicht nur Stadt und Landkreis Passau, sondern auch den Landkreis Freyung und Rottal-Inn. Wir ordnen die Gefahr ein und bewerten die Situation. Dann entscheiden wir, was die beste Reaktion auf das vorliegende Szenario wäre. Auch die Warnung der Bevölkerung obliegt uns."
Aber wie reagiert man genau auf einen Katastrophenfall? Gibt es einen Plan für den Tag X? Fehrenbachs Antwort darauf fällt klar aus: "Es gibt keinen bestimmten Plan. Wir reagieren immer einzelfallabhängig. Jede Katastrophe ist anders." Das wichtigste sei es, sagt Fehrenbach, Struktur in das Chaos zu bringen. "Wir versuchen, diese Struktur reinzubringen und innerhalb davon administrativ mitzuarbeiten." Schauen, dass der Alltagsbetrieb läuft – das hört sich banal an, ist aber in der Katstrophe eine Herausforderung. "Wir unterstützen und beraten die Einsatzleitung. Helfen, wo wir können." Der große Unterschied zum Alltag: Man kann sich nicht zusammensetzen und ewig über die richtige Reaktion diskutieren. Es muss schnell gehen. Insgesamt kann die ILS bis zu 16 Plätze für Notrufannahme besetzen. In der Regel braucht ein Disponent eine Minute für eine Notrufannahme.
Für Fehrenbach ist essenziell: Für den Bürger muss alles rund aussehen. "Der Bürger darf nicht erkennen, was wir machen. Dem Bürger muss das egal sein, er muss einfach nur anrufen können. Was folgt, muss für ihn stimmig sein. Zuständigkeitsstreitigkeiten darf es für ihn nicht geben."
Insgesamt, so Fehrenbach, sei die Schwelle, den Notruf zu rufen, in den letzten Jahren niedriger geworden. Von den 220.000 Anrufen letztes Jahr waren nicht alles Notrufe. "Mittlerweile ist eine gewisse Erwartungshaltung des Bürgers da", sagt der Leiter.
Mit Blick in die Eifel ist man in diesen Tagen froh um so eine Institution. Auch im Raum Passau ist man sich eines jederzeit drohenden Hochwassers bewusst.
"Wir hatten 2016 in Simbach den Dammbruch", erinnert Fehrenbach. "Innerhalb von wenigen Minuten wurden Wassermassen in die Stadt hineingepumpt, Menschen sind gestorben." Bei der ILS gingen tausende Anrufe ein. "Da ging es ums nackte Überleben", sagt Fehrenbach. "In so einer Situation muss man Prioritäten setzen. Sachwerte zählen da nicht mehr, da geht es nur noch um die Menschenrettung." Solche Entscheidungen sind das, was Fehrenbach "Struktur reinbringen" nennt.
Aber mit solchen Tagen kann man nicht rechnen, sagt Fehrenbach. Dennoch ist seine Nachricht an die Bevölkerung klar: "Sie können auf uns vertrauen", sagt der Leiter der ILS. "Wenn Sie die 112 rufen, werden wir kommen."
Quelle: PNP 24.07.2021 / Christoph Ströbls
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